Rittergeschichte mit überraschendem Ende: "6 plus 1 Rittersleut" von Claudia Brand, Kinderbuch ab 4

Inhalt : Sechs Brüder, die alle Ritter sind, ziehen mit ihrer jüngeren Schwester Maid Anni durch die Lande und lassen sich feiern. Doch stimmen ihre Geschichten? Da fordert Graf OtziNas die Rittersleut zum Kampf auf. Wer wird die Herausforderung annehmen? Ein Bilderbuch zum Vorlesen, zum Schmunzeln und Mut machen.

Wie lernen wir Lesen?

Lesen lernen ist schwer. Für's Kind ist es ein anspruchsvoller, kognitiver Prozess. Denn zunächst muss es beim Lesen Silben erkennen, schnell zusammensetzen, zumindest in Gedanken artikulieren, meist jedoch im Anfängerstadium laut, gleichzeitig den Textinhalt/den Sinn aufnehmen und verarbeiten. Kurzum das Kind als Leseanfänger dechiffriert eine Zeichenform als Lautsilbe und setzt sie dann im Gehirn wieder zusammen und zieht sie mit der nächsten, aktiv dechiffrierten Silbe zu einem Wort zusammen.

Flüssiges Lesen entsteht durch Automatisierung

Das Dechiffrieren und Wiederzusammensetzen steht zu Beginn der Lesefähigkeit. Mit zunehmender Übung ändert sich der kognitive Vorgang beim Lesen. Die Silbe, vielmehr ganze Wörter werden als Bild im Gehirn abgespeichert und bei Wiedererkennung (Lesen) aktiviert. Im Gehirn sind andere neuronale Funktionen dafür zuständig als beim Dechiffrieren und Zusammensetzen, wie die aktuelle Hirnforschung bewiesen hat. (Ich verweise hier auf das kleine, sehr informative und anschauliche Büchlein von Andreas Gold "Lesen kann man lernen" - Amazon Affiliate Link). Das Lesen erfolgt automatisiert. Das ist übrigens auch der Grund, wrm iS dsn Nbnstz gtu lsn önnn. Das Gehirn ersetzt erkennt bei den Wörtern die abgespeicherten Grundformen und ersetzt Lücken bzw. korrigiert Buchstabenfehlstellungen automatisch. Genial, nicht wahr?
Doch bis dahin ist es für den Leseanfänger ein weiter Weg. Denn nur durch Erfahrung aka Üben entsteht der Automatismus. Die neuronale Gehirnbahn für die Worterkennung muss permanent beschritten werden. Erst ist es eine kleine Spur mit Steinen, später schon ein guter Trampelpfad, dann ein guter Weg und zum Schluß die Autobahn.

Mitdenken geht erst beim geübten Leser

Was unterscheidet den geübten Leser vom Leseanfänger? Es ist nicht nur das flüssige Lesen, was wir meist als erstes Merkmal nennen. Vielmehr sind es auch unsichtbare Zeichen, die viel mit der jeweiligen Lesebiographie und Lesererfahrung zu tun hat.
Zum einen hat der Leser, bei dem das Lesen schon halbwegs automatisiert ist, überhaupt Gehirnkapazitäten, während des Entzifferns sich mit dem Inhalt des Textes zu beschäftigen: Wer spricht zu wem? Was passiert da? Was wird bei der Sachaufgabe gefragt? Es ist völlig klar, dass der Leseanfänger alle seine Kraft und Energie in die Entzifferung steckt. Erst wenn er die Kulturtechnik halbwegs beherrscht, kann sein Gehirn noch eine weitere Aufgabe übernehmen.
Daraus folgt an die Grundschullehrer die Aufgabenstellung, zunächst die Lesetechnik den Kindern zu vermitteln und erst danach Fragen zum Textinhalt (unabhängig vom Fach und Lernstoff!) an die Kinder zu stellen. Übrigens ist dies völlig normal, nur wir Erwachsenen merken es aufgrund unserer Lebenserfahrung nicht mehr. Auch wir müssen erst die Technik beherrschen, um dann eine Zusatzaufgabe kognitiv erledigen zu können. Wenn Sie Auto fahren, können Sie sich auf dem bekannten Weg gut mit Ihrem Mitfahrer unterhalten. Sind Sie in einer fremden Stadt, es regnet und es ist dunkel, müssen Sie sich auf's Autofahren konzentrieren. Diskussionen über die letzte Serie führen Sie dann nicht mehr!
Zum anderen hat der geübte Leser eine umfangreichere Lese-Erfahrung. Hier gilt dann schon: mehr hilft mehr. Denn der geübte Leser kann im Gegensatz zum ungeübten Textsorten erkennen: das ist ein Krimi. In einem Krimi gibt es in der Regel folgende Textstruktur: Verbrechen - Fall - Detektiv unklar - Spuren sichern, Hinweise - kombinieren - Täter gestellt. Oder der geübte Leser weiß, welche Informationen ein Lexikon-Artikel ihm bietet und das eine Glosse auf Übertreibungen ausgerichtet ist und kein reiner Sachtext. Im besten Fall schaut er also in Gedanken schon voraus: was könnte in der Geschichte als nächstes passieren? Oder welche Informationen kann ich von dem Sachbuch erwarten?  Er erkennt den verborgenen Witz, die Spannung zwischen gegensätzlicher Text- und Bildaussage, liest den Subtext, zwischen den Zeilen mit. Er kann Ironie herauslesen. Sein Lesen ist lebendiger, weil er mit halben Auge nach einer Rede schon die Regieanweisung des Autors, wie es gesagt wurde ("Das wird furchtbar", flüstert der kleine Bär.), im Blick hat. Der geübte Leser denkt mit, passt seine Erwartungen an den Text an und schaut während des Lesens voraus. Erst jetzt entsteht diese Lesefreude, die das Lesen nicht zu einer lästigen Arbeit, sondern zu einem Vergnügen macht.
Doch bis zu diesem letzten Schritt ist es kein einfacher Weg für den Lesebeginner. Diesen Weg einfacher, motivierend und interessant zu gestalten, ist die Aufgabe der Leseförderung. Welche Anforderungen da Erstlesebücher erfüllen sollen, werde ich in einem weiteren Artikel erklären. Dass auch Bilderbücher für Erstleser oft auch die geeigneteren Bücher sind, habe ich in dem Artikel "Wie lesen lernen? Mithilfe von Bilderbüchern" erörtert.

Kommentare

  1. Und auch hier kann man wieder auf die Bedeutung des Vorlesens verweisen. Denn wer viele Texte und Geschichten bereits als Zuhörer kennen gelernt hat, der hat es auch als Leser (Stichwort Leseerfahrung) einfacher, die Texte zuzuordnen, mit- und vorauszudenken und letztendlich zu verstehen. Auch erweitert sich durchs Vorlesen der Wortschatz und das Wissen allgemein und auch hier ist man dann beim Lesenlernen im Vorteil, denn wenn man erahnen kann, was für ein Wort dort steht, lässt es sich auch leichter lesen, als wenn man völlig unbekannte Wörter entziffern muss.

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