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Tanja Leitsch, Susanne Schnieder mit Carsten Tergast - Die Rotzlöffel-Republik. Vom täglichen Wahnsinn in unseren Kindergärten

Inhalt:
Kindergartenwelt - heile, heimelige Welt? Zwischen bildungspolitischen Fehlentscheidungen, überforderten Eltern, Personalmangel deluxe und katastrophalen Rahmenbedinungen spielt sich heute der Alltag der Erzieher im Kindergarten und Krippe ab. Dieses Sachbuch berichtet von den Mißständen und fordert Veränderungen!



Meinung:
Kinder sind ein Geschenk. Sie auf ihren Schritten beim Wachsen und Entdecken der Welt zu begleiten, ist eine wunderbare Aufgabe. Zwischen dem 1. und 3. Geburtstag gehen die allermeisten Kinder einen wichtigen Schritt in ihrem Leben: sie werden ein Krippen- oder Kindergartenkind. Nun schwankt noch heute das Bild von Erziehern in den Augen der Gesellschaft zwischen der Kindergartentante, die mit den Kindern doch den ganzen Tag viel spielen kann, immer tolle Sachen basteln kann, Lieder singt und deren Arbeit überhaupt nicht anstrengend sei bis zu den Ansprüchen, sie solle die Kinder möglichst frühzeitig in der Bildung fördern. Letzteres meint dann nicht die manuelle Feinmotorik, die durch Weben beispielsweise geschult wird, sondern Englisch- oder Spanischunterricht im Kindergarten, gefolgt von Ernährungskursen und ersten naturwissenschaftlichen Experimenten, die bitteschön ein Hauch von Wissenschaft haben sollen.
Die Realität sieht völlig anders aus.Und DAS merkt jedes Elternteil, sobald ihr Kind in die Einrichtung geht. Von dieser Realtität und Ursachen berichtet aus Alltagserzählungen das wichtige Sachbuch "DIe Rotzlöffel-Republik. Vom täglichen Wahnsinn in unseren Kindergärten".
Der Titel klingt recht reißerisch und spricht auch nur einen Teil des Buches an. In dieser Streitschrift, die aufrütteln soll, erzählen die beiden Erzieher mit langjähriger Arbeitserfahrung, auch im Leitungsbereich, Tanja Leitsch und Susanne Schnieder aus ihrem Arbeitsalltag. Daß dies keine Einzelerfahrungen sind, beruht auf den Berichten von Kolleginnen und auf eigenen Erfahrungen des Lesers, wenn er heute Kinder in Einrichtungen hat. Ständig nickt er den Kopf, weil er selbst schon das eine oder andere ähnliche Erlebnis selbst am eigenen Leib bzw. am eigenen Kind erfahren hat.
Worum geht es genau? Der Berufsalltag vom Erzieher, seine Anforderungen, die in den letzten Jahren dank völlig abgehobener Ansprüche aus der Bildungspolitik massiv gestiegen sind, werden heute immer noch völlig unterschätzt, ja nicht gewürdigt. Der Erzieher spielt heute nicht mehr in Allerseelenruhe mit den Kindern, bastelt mal oder singt, sondern hat Aufgaben von Bildungsanspruch, Betreuung, Begleitung, Integration, Inklusion und Erziehung zu leisten. Letzteres darf nur in einer kruden Mischung aus Reparieren der elterlichen Erziehungsmängel mit Zurückhaltung in der Kritik gegenüber den Eltern bestehen. Der Erzieher soll erziehen, aber dann doch nicht. Am besten auf jeden Fall individuell und persönlich. Eltern erwarten, daß ihr Kind im Mittelpunkt stehe, individuell und persönlich betreut werden, auf keinen Fall aber gegen die oft nicht erläuterten Ansprüche der Eltern! Und dann steht der Erzieher im Kindergarten einer Gruppe von 18 Kindern alleine vor. In der Krippe teilen sich dann zwei, maximal drei Erzieher so eine Gruppengröße. Die Räume sind zu klein, nicht schallgeschützt, in der Ausstattung fehlt es an Materialien wie Bücher, Papier, Stifte, Bastelmaterial. Daneben sollen die Erzieher noch den Kindern das Trockenwerden, Anziehen, Zähneputzen, Umgangsformen, Miteinander beibringen. Tolle Projekte mit ausgestellten Bastelarbeiten für die Eltern, sich im Kreativen überschlagende Feste und unvergessliche Ausflüge dürfen ja auch nicht fehlen - mit einer Erzieherin auf 18 Kinder! Was folgt: Überbelastung bis zu häufigem Burn-out, hoher Krankenstand, massive Lärmbelastung, Wohlstandsvernachlässigung bei den Kindern usw., wobei die Ursachen oft einen Teufelskreislauf bilden.
Den Alltag, die überbordenden Anforderungen sind hier nur kurz angerissen. Leitsch und Schnieder berichten davon ausführlich. Sie bleiben dort aber nicht stehen, sondern zeigen ganz eindeutig die Ursachen und Verursacher auf. Es ist ein ungeschönter Blick hinter die Kulissen, der eindeutig klar macht, das zeitnah hier Veränderungen eintreten müssen, die von Politik und Gesellschaft getragen werden  müssen. Am Ende des Buches listen sie Verbesserungsvorschläge wie höherer Personalschlüssel, Zulagen, Gewährung von Personalkontinuität, gezielte Fortbildungen (kein Gießkannenprinzip), Erholungszeiten, Raumausstattung, Mitarbeit der Eltern auf.
"Die Rotzlöffel-Republik" von Tanja Leitsch und Susanne Schnieder erschüttert durch die ungeschönten, auf den Punkt gebrachten Berufseinblicke (Elternverhalten gegenüber Erziehern, sexueller Mißbrauch der Kinder untereinander), wirkt durch die klare Ursachenanalyse und -benennung. Durch die lebendige Sprache läßt sich das Buch leicht lesen. Es rüttelt auf. Es ist ein Aufschrei. Es muß jetzt zu einer politischen und gesellschaftlichen Diskussion kommen. Die Rahmenbedingungen müssen sich verbessern, sonst versündigen wir uns Erwachsenen an den Kindern!
Tanja Leitsch, Susanne Schnieder mit Carsten Tergast - Die Rotzlöffel-Republik. Vom täglichen Wahnsinn in unseren Kindergärten
ecowin, Salzburg, München 2017
ISBN: 978-3711001337
Ausstattung: 232 Seiten, Hardcover
Preis: 20 €

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