Direkt zum Hauptbereich

Streitschrift über ADHS: Amrei Wittwer - Warum ADHS keine Krankheit ist

Streitschrift über ADHS: Amrei Wittwer - Warum ADHS keine Krankheit ist

ADHS bei Kindern: warum wird es zunehmend diagnostiziert?

ADHS - dieser medizinische Begriff ist durch Medienberichte außerhalb von Fachkreisen und Betroffenen keineswegs unbekannt. Im Gegenteil, vielmehr scheinen viele Menschen zu ihm eine Vorstellung zu haben, ohne genau zu wissen, was sich mit ADHS genau beschrieben wird. Festzustellen ist, dass in den letzten Jahrzehnten die Diagnostik von ADHS zugenommen hat. In manchen Regionen Europas wird jedes 4. Kind als ADGS-betroffen eingestuft (Wittwer). Doch vor mehr als 60 Jahren war der medizinische Begriff noch völlig unbekannt. Wie kommt es zu dieser Entwicklung, zu dem massiven Anstieg an diesen Diagnosestellungen?
Dieser Fragestellung geht Amrei Wittwer in ihrem Sachbuch "Warum ADHS keine Krankheit ist. Eine Streitschrift", 2019 im Hirzel Verlag erschienen, ausführlich nach. Sie ist keine Journalistin, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Nein, die Schweizerin Amrei Wittwer ist Apothekerin und beschäftigt sich seit vielen Jahren wissenschaftlich mit dem Thema ADHS.
Das Buch geht auf ein Forschungsprojekt des Collegium Helveticum, eines Forschungsinstitutes in Zürich, angesiedelt an der Universität Zürich, der ETH Zürich und der ZHDK Zürich, zurück. Amrei Wittwer war Co-Leiterin der Forschungsstudie "Kinder fördern. Ein interdisziplinäre Studie zum Umgang mit ADHS" von 2014 bis 2017. In diese Studie und in dieses Buch floss der aktuelle Forschungsstand ein. Zur Einordnung des Buches ist diese Hintergrundinformation nicht unwichtig.

Wissenschaftliche Diagosekriterien?

In ihrem Sachbuch, das Amrei Wittwer ganz bewusst als Streitschrift konzipiert hat, untersucht die Autorin die Diagnosestellung ADHS bei Kindern. Dabei ist ihr Blick auf das Kind gerichtet. Sie schläft sich auf die Seite des Kindes, das zwischen Eltern, Erziehern, Lehrern und Ärzten steht und über das diganostiziert und gesprochen, aber kaum mit ihm gesprochen wird - wie bei einem Gegenstand. Neben eigenen Forschungsergebnissen und der Erörterung des aktuellen Forschungsstandes bezieht sie Aussagen betroffener Kinder, deren Eltern, Ärzte und Lehrer mit ein.
Die Kernfrage, die Amrei Wittwer stellt und diskutiert, ist, wie ADHS diagnostiziert wird. Für eine Erkrankung bedarf es klarer diagnostischer Kriterien, die international gültig sind. Dazu bedarf es definierter organischer Erkrankungen mit anatomischen Veränderungen, die funktionale Einschränkungen und Leid hervorbringen. Pädagogische Probleme hingegen sind kein Bestandteil einer Erkrankung. Zudem gilt es, andere Erkrankungsursachen wie Schilddrüsenunterfunktion, als Ursache für die Symptome auszuschließen.
Dieser Fragestellung geht Amrei Wittwer umfassend im ersten Teil nach. Sie weist nach, wie stark geänderte gesellschaftliche Anforderungen ans Kind, pädagogische Probleme in die Diagnosestellung eine Rolle spielen. Auch die Rolle, wer und wo das Leid diagnostiziert wird (beim Kind selber oder vielmehr in der Umgebung) analysiert sie in Hinblick auf die Fragestellung kritisch. Sie arbeitet klar heraus, dass ADHS als definierte Krankheit in zahlreichen Fällen auf falschen Annahmen diagnostiziert wird. Sie zeigt die unterschiedlichen Interessen von Ärzten, Lehrern oder auch wirtschaftliche Interessen daran. Sie weist auf falsche Rückschlüsse hin, auf die Ursachen von Fehldiagnosen und benennt klar die Gründe dafür.
Im zweiten Teil erläutert sie, wie die Medikamentengabe bei ADHS sich auf das Kind auswirkt. Hier zeigt sich ihr Apotheker-Wissen. Denn die verschriebenen Medikamente gehören zu den stimulierenden Betäubungsmitteln, deren Wirkung auf Körper der Kinder nicht ausreichend erforscht ist.
Im dritten Teil zeigt sie Alternativen in der Therapie auf: Bewegungs- und Verhaltenstherapie, Ernährungsumstellung. Hier knüpft sie an ihre Aussagen im ersten Teil an, dass oftmals pädagogischen Probleme und gestiegene Anforderungen Ursache für die Symptome sind.

Mutige Streitschrift

Amrei Wittwer geht es nicht darum, ADHS komplett zu verwerfen. Sie stellt die Häufigkeit der Diagnosestellung in Frage und geht den Ursachen umfassend auf den Grund. Sie erörtert kritisch die Rolle der Gesellschaft bei der Krankheit ADHS. Sie untersucht gründlich, ob die gängige Praxis der Diagnosestellung überhaupt den wissenschaftlichen Kriterien standhält. Sie fragt nach anderen Interessen, die bei der Diagnosestellung eine bedeutende Rolle spielen. Und sie hat immer das Kind im Blick: wird es überhaupt angehört, wird nach seiner Sichtweise, seinem Leid gefragt? Oder wird nicht vielmehr von unterschiedlicher Seite übers Kind hinweg entschieden, als sei es ein Gegenstand? Schließlich zeigt Amrei Wittwer fundiert alternative Lösungen außerhalb der Medikation auf.
Dass Buch ist nicht dazu da, laienhaft selber eine Diagnose zu stellen. Nein, es ist eine kritische Auseinandersetzung, die betroffenen Familien mehr Informationen für ihre individuelle Entscheidung und auch als Streitschrift für Fachkräfte aller Richtungen (Kinderärzte, Psychotherapeuten, Psychiatern, Lehrern und Erzieher) gedacht, sich wirklich kritisch mit ADHS auseinander zu setzen. Dieses Buch bedeutet Aufklärung und Mut und ist absolut zu empfehlen!
Bibliografische Angaben zur Sachbuch-Rezension:
Amrei Wittwer - Warum ADHS keine Krankheit ist. Eine Streitschrift
Hirzel Verlag, Stuttgart 2019
ISBN: 978-3777627618
Ausstattung: 310 Seiten
Preis: 29 €

*Direkt beim Hirzel Verlag bestellbar oder überall im Buchhandel erhältlich.

Über geniallokal.de können Sie online Ihre Bücher bequem von zuhause bestellen und beim Buchhändler in Ihrer Nähe abholen.

Mit einem Einkauf über Amazon unterstützen Sie meinen Blog, vielen Dank: https://amzn.to/2RxrRKN

Online-Buchhändler mit sozialem/ökologischem Engagement (Auswahl) sind fairmondo.de, buch7.de, fairbuch.de oder ecobookstore.de.

(*) Nach dem Telemediengesetz sind Links auf Verlage, Shops und Affiliate-Links (hier: Amazon) als Werbung zu kennzeichnen, übrigens ganz unabhängig davon, ob das Buch ein Rezensionsexemplar ist oder selbst gekauft wurde. Meine Meinung zum Buch ist immer unabhängig. Die Links verstehe ich als Service für meine Blogbesucher.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Wichtelschabernack in der Kita: "Ein Wichtel zieht in die Kita ein" - Bildkarten für Erzieher

Inhalt: Es ist Advent: im Kindergarten geschehen allerhand Streiche. Ist ein Weihnachtswichtel eingezogen? Ja, denn die Kinder bekommen regelmäßig Wichtelbriefe. Auf 30 Bildkarten finden Erzieher 22 witzige und überraschende Wichtelstreiche, um die aufregende Weihnachtszeit im Kindergarten zu verkürzen. Rezension des Erziehermaterials: Schon seit etwa vier Jahren findet in Deutschland der skandinavische Wichtelbrauch immer mehr Anhänger. Kleine Türchen mit davor stehenden Stiefelchen, einem Briefkasten oder einem kleinen Strohbesen zeigen an: hier wohnt ein Weihnachtswichtel. Der Wichtel behütet Haus und Hof (oder in diesem Fall den Kindergarten), spielt hier und da einen lustigen Streich und erfreut die Kinder mit seinen Briefen. Übrigens finden wir so einen Wichtel in Astrid Lindgrens Bilderbuch-Klassiker "Tomte Tummetott".  Der Don Bosco Verlag, als pädagogischer Fachverlag bei Erziehern und Lehrern weithin bekannt, hat 2023 ein Bildkarten-Set zu dem Thema herausgebracht. ...

Bilderbuch ab 3 Jahre: Gerd Sobtzyk, Uwe Stöcker - Ritter Titus und der Drache Liederlich

Inhalt: Titus spielt am liebsten Ritter. Die Aufforderung der Mutter, sein Zimmer aufzuräumen, kommt da sehr ungelegen. Grummelig begibt er sich dahin. Doch was passiert da? Auf einmal taucht der Drache Liederlich auf und macht sich über Titus her. Wird Titus ihn besiegen?

Anleitung: Ich häkle mir mein eigenes Bilderbuch

Ich wollte auch schon immer mal mein eigenes Kinderbuch schreiben! So. Nein, keine Angst, ich halte mich ganz an den Spruch "Schuster bleibe bei deinen Leisten". Also ich plane jetzt nicht, ein Kinderbuch zu schreiben. Aber ein Büchlein für den Hausgebrauch habe ich trotzdem hergestellt. Es ist für K3, ein Stoffbüchlein. Da ich hin und wieder gerne auch die Häkelnadel durch die Luft schwinge, lag es nahe, beide Interessen miteinander zu verbinden. Wollreste diverser Farben, Stärken habe ich hier. Was braucht man? weiße Wolle für die Buchseiten Wollreste in verschiedenen Farben für die Bilder Mülltüte Zeit, Liebe und Geduld