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Kinderbuchautor und -illustrator Zapf. Foto: Zapf |
Da bekommt der Schüler ein Buch auf den Tisch mit der Aufforderung "Lies!" gelegt. Weckt es Lesebegeisterung? Nicht unbedingt. Nun fragen sich Lehrer und Eltern, mit welchen Maßnahmen der Leseförderung man Lesebegeisterung wecken kann. Viele Wege werden da ausprobiert. Eine Aktion möchte ich nun näher vorstellen.
Leseförderung in der Grundschule so früh wie möglich
Kinder lieben Geschichten. In Büchern werden Geschichten erzählt. Daher lieben Kinder Bücher. Im Idealfall haben Kinder vor Schuleintritt vielseitige Erfahrungen mit Büchern gemacht. Ihnen ist regelmäßig vorgelesen worden, sie haben in der örtlichen Bibliothek selbstgewählte Bücher ausleihen dürfen, sie kennen verschiedene Bucharten wie Bilderbuch, Vorlesebuch, Bildersachbuch oder Wimmelbuch und haben Geschichten zu verschiedenen Themen (Abenteuer, Freundschaft, Piraten, Familie, jahreszeitliche Themen) vorgelesen bekommen. So ein Kind hätte schon eine differenzierte Lesebiographie und Leseerfahrung, wobei hier der Begriff Lesen weiter gefasst wird.
In der Regel aber werden die Kinder mit viel weniger biographischer Leseerfahrung eingeschult. Nun bietet die Grundschule eine weitere Chance fürs Lesen zu begeistern (wenn nicht sogar eine der letzten). Denn je jünger das Kind ein breites Spektrum an positiver Erfahrung mit Büchern macht, desto mehr festigt sich eine Lesebegeisterung und eine Zugewandheit zum Buch.
Also ist ein Start mit vielschichtiger Leseförderung schon in der 1. Klasse ein wichtiger Baustein für das zukünftige Lesen. Leseförderung heißt nicht nur Lesen beibringen und ein, zwei Bücher zum Lesen empfehlen. Leseförderung kann in Tandemlesen, Lesewettbewerbe, stille Leseminuten im Unterricht oder auch - und hier komme ich zur eigentlichen Aktion - Kontakt zum Autor bedeuten.
Hinter jedem Buch steht ein Mensch
Bücher sind Gegenstände, sie sind leblos. Doch hinter jedem Buch steht ein Mensch, der sich die Idee ausgedacht hat, sie aufschrieb und illustrierte. Über diese menschliche Beziehung Kindern Bücher näher zu bringen, war der Leitgedanke der Aktion "Briefe an den Autor".
Briefe an Autoren zu schreiben, also Leserbriefe, ist jetzt nichts neues. Doch ich erweiterte Idee um eine Fragerunde via Skype. Die Idee: die Kinder lesen das Buch, beschäftigen sich mit ihm, schreiben ihre Fragen an den Autor (Verbindung Lesen und Schreiben, zwei Säulen einer wichtigen Kulturtechnik) und können dann per Skype mit ihm darüber reden bzw. erhalten die Antworten. Ganz spontan entwickelte ich die Idee und fand in dem
Erstlesebuch "Drachen an den Start" von Zapf (meine Rezension dazu habe ich hier im Blog
geschrieben, ein Interview mit Zapf gibt es auch
dazu) ein spannendes, Leseinteresse weckendes Kinderbuch. Gleich schrieb ich den Autor an, ob er bei der Aktion dabei wäre. Sofort sagte Zapf zu, worüber ich mich sehr freute. Auch der engagierte Grundschullehrer meines Kindes fand die Idee klasse und sagte zu. Offenheit, Engagement der Erwachsenen als Leseförderer sind unabdingbare Voraussetzungen, Kinder für das Buch in so einer Aktion zu begeistern. Nun waren alle mit an Bord, eigentlich sollte es doch ab jetzt flutschen, aber da standen noch einige Hürden vor uns.
Lesen in der Klasse
Zunächst ging es ohne Probleme weiter. Der Lehrer las mit den Kindern das Buch. Es ist ein besonderes, denn der Leser legt den Verlauf der Geschichte fest. Und wie setzt man es in einer Klasse mit mehr als 20 Schülern um? Man lässt sie abstimmen. So beschäftigten sich die Kinder nicht nur mit dem Buch, sondern agierten auch als Klassenverband und viel über soziales Verhalten (Regeln der Abstimmung, Enttäuschung bei einer anderen Wahl oder auch mal Glücksgefühl bei Zustimmung kennen). Diesen sozialen Aspekt sollte man nicht unterschätzen!
Fragen an den Autor
Nach der Lesephase erarbeitete der Lehrer mit den Kindern die Fragen an den Autor. Der gemeinsame Aspekt ist für eine erste Klasse sehr bedeutsam, denn wir dürfen ihre eigenen Fähigkeiten im Schreiben (etwa 4-5 Monate Schreiberfahrung) nicht aus den Augen lassen. Zunächst besprach der Lehrer mit den Schülern, was sie am Buch interessiert, welche Fragen sie dem Autor stellen würden. Hier braucht es stellenweise Imput und auch Offenheit für die Kinderfragen, die anders als bei Erwachsenen ausfallen würden. Kinder bleiben unmittelbar an der Geschichte (warum haben die Drachen diese Farben) oder spiegeln gerade eigene Hürden im Lese- und Schreiberwerb wider (wie schafft es der Autor, keine Wörter falsch zu schreiben). Sie denken jetzt NICHT an Plotaufbau oder Charaktere. Dies ist die abstrakte, analytische Welt der Erwachsenen. Die Kinder sind ganz im hier und jetzt. Diese Freiheit soll und muss man ihnen lassen, um nicht die Freude an der Aktion durch Überforderung zu nehmen.
Nach dem Sammeln schrieb der Lehrer die Fragen an die Tafel. Die Kinder schrieben sie auf und mussten sie selbständig formulieren. Hier gibt es eine weitere Hürde: Kinder müssen lernen, nicht nur mündlich vollständige Fragen formulieren zu können, sondern auch diese Fähigkeit auf das Schriftliche zu übertragen. Kurzum: Kinder lernen in dieser Phase, dass sie nicht in Wortgruppen schreiben sollen, sondern in vollständigen Sätzen. So manches Kind braucht da Unterstützung, was einerseits noch auf das unbeschriebene Blatt der Schreiberfahrung zurückzuführen ist, andererseits auch auf die Kommunikation im Alltag, in der Schule und in der Familie. Übrigens ist es auch viceversum: wie reden wir mit den Kindern? Immer in Befehlsform oder erzählen wir auch in ganzen Sätzen?
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Ja, er ist live zu sehen und zu hören. Nur anders herum nicht. Videochat mit dem Kinderbuchautor Zapf. Foto: W. Bönisch |
Videochatten mit dem Autor
Nachdem die Briefe mit Bildern verschönert, in Briefumschläge gesteckt, frankiert und losgeschickt worden sind, stand das Skypen mit dem Autor als krönender Abschluss auf dem Programm. Hier gab es einige Hürden zu bewältigen. Ohne das Engagement des Lehrers wäre die Aktion gescheitert. Die Kinder sollten auf ihre Fragen auch eine Antwort bekommen, denn so gehört es sich ja. Da der Autor in Österreich lebt, ist ein reales Treffen nicht möglich. Doch dank neuer Medien lassen sich die Kilometer leicht überwinden - zumindest in der Theorie. In der Praxis ist es eine Frage der Ausstattung und der Rechte (!) mit Informationstechnologien in der Schule. Tatsächlich gab es das Problem, dass die Schule über keinen Rechner mit entsprechenden Rechten verfügte, den man auch noch an die Multimedia-Tafel anschließen konnte, über den man hätte skypen können.
Hinsichtlich der ganzen Diskussion um Digitalisierung an Grundschulen lässt sich hier das Dilemma gut benennen: es sind nicht immer die fehlenden Geräte, die hier Aktionen scheitern lassen, sondern auch eingeschränkte Rechte, die mit Sicherheitsaspekten, Datenschutzrichtlinien und am Ende auch mit fehlendem Personal, das die Geräte und Systeme pflegt, einhergehen. Einfach Rechner oder Tablets in die Schule zu schaffen, ist keine Digitalisierung. Da braucht es eben auch die Ausstattung mit Rechten wie Zugang zu Internet, Installierung von Programmen, die letztlich durch ausreichendes Fachpersonal (also nicht die Lehrer vor Ort!) gesichert werden muss. Und hier fehlt es gewaltig!
Hürden, Hürden, Hürden
Letztlich konnte ich mit dem Lehrer eine Lösung finden, die ein starker Kompromiss war. Er nutzte seinen eigenen Facebook-Account für den Videochat. Der ging jedoch aufgrund fehlender Rechte nur einseitig. Die Klasse sah und hörte Zapf, er aber die Klasse nicht. Zumindest das Sprechen konnten wir lösen. Der Lehrer nutzte sein privates Handy, um parallel zum Videochat mit Zapf zu telefonieren, damit der Autor die Fragen der Kinder hören konnte. Was für ein Engagement, für das ich mich an dieser Stelle noch einmal herzlich bedanke!
Endlich Zapf sehen und hören
Ja, endlich konnten die Kinder Zapf, den Autor von "Drachen an den Start" sehen und hören. Der Autor nahm sich viel Zeit für die Kinder. Er beantwortete einige Fragen aus den Briefen, die er auch den Kindern zeigte. So sahen sie, dass er tatsächlich die Briefe bekommen und gelesen hatte. Zapf freute sich über die Briefe, die Fragen, das Interesse der Kinder und die schönen Bilder (als Illustrator) sehr. Im zweiten Teil konnten die Kinder dann ihm spontan Fragen stellen. Zunächst waren sie noch etwas zurückhaltend. Aber als Zapf erwähnte, schon an den drei Fragezeichen mitgearbeitet zu haben, da kam Leben in die Bude. Begeistert riefen alle, sie kennen sie. Das Eis war gebrochen. Jetzt kamen die Fragen hintereinander, wie viele Bücher er schon geschrieben hat, wie er es schafft, sie fehlerfrei zu schreiben, wie viele Bücher es in einer Buchhandlung gibt usw.
Erfolgreiche Leseförderung
Mein Resumee für diese Aktion Leseförderung ist:
- Leseförderung muss so früh wie möglich in der Schule beginnen. Am besten gleich schon in der ersten Klasse.
- Die Aktion "Schreiben an den Autor, vidoechatten mit ihm" zeigte den Kindern, lesen und schreiben gehört zusammen. Sie können auch als Anfänger schon ganz viel.
- In dieser Leseförderaktion konnten wir Lesen, Schreiben und Videochat als digitales Element sehr gut zusammenführen.
- Hinter jedem Kinderbuch steckt ein Autor, ein Mensch, der mit seinen Idee das Buch zum Leben erweckte. Und ihn kann man auch fragen.
- So mancher Autor hatte zuvor schon ein Buch geschrieben, dass der Schüler kennt. Da gibt es für ihn auf einmal eine persönliche Beziehung.
- Bücher sind mehr als nur stilles Lesen. Sie sind Kommunikationsanlässe.
- Leseförderung in der Schule ist in hohem Maße vom Engagement des Lehrers abhängig, besonders in der Grundschule.
- Autoren sind Lesebotschafter, nicht nur über ihre Bücher, sondern auch über solche Autorentreffen oder Lesungen. Diese Wirkung dürfen sie nie unterschätzen!
Ich danke an dieser Stelle dem Kinderbuchautor Zapf für sein Engagement, seine prompte Zusage, sein Mitmachen, seine fröhliche Beantwortung der Kinderfragen. Und ich danke auch dem Grundschullehrer für sein Engagement, das weit mehr ist als gemeinhin üblich. Bitte bleiben Sie so!
Folgende Kinderbücher Zapfs habe ich auf meinem Kinderbuch-Blog besprochen:
Erstlesebuch ab 6 Jahre:
Zapf - Drachen an den Start (Tulipan ABC)
Tulipan Verlag, München 2019
ISBN: 978-3-86429-414-3
Illustration: Zapf
Ausstattung: 48 Seiten, Hardcover
Preis: 8,95 €
Preisträger des Leipziger Lesekompass 2019
Rezension auf dem Kinderbuch-Blog hier.
Bilderbuch ab 3 Jahre:
Jochen Till - Ich bin für dich da!
Tulipan Verlag, München 2017
ISBN: 978-3864293719
Illustration, Konzept, Idee: Zapf
Ausstattung: 44 Seiten,
Hardcover
Preis: 10 €
Vom Verlag empfohlenes Lesealter: ab 3 Jahre
Preisträger des 9. BUCHKÖNIGS. Laudatio hier.
Rezension auf dem Kinderbuch-Blog hier.
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